Wer ich bin
Über mich selbst
Keine Angst, das wird jetzt kein tabellarischer Lebenslauf sein. Was sagen diverse Schulbesuche, Universitätsstudien oder Arbeitsplätze über das aus, was meistens nachts allein an einem Schreibtisch passiert?! – Wahrscheinlich kaum etwas. Also lasse ich es lieber. Und erzähle Euch nur von jenen Dingen, die meiner Einschätzung nach direkt mit meinen Schreibprozessen in Zusammenhang stehen.
Geboren bin ich – weil man ja irgendwo anfangen muss – im März 1961 in Villach, Kärnten. Meine Kindheit in Feldkirchen (ungefähr 25 km östlich von Villach entfernt) kann also behütet bezeichnet werden – im Sinne von „im Abseits gelegen“, „am Rande der Welt – und vor allem: der Zivilisation“. Meine Familie dafür war ziemlich bizarr. Normal nur an der Oberfläche. Aber darunter lauern – wie wir alle spätestens seit Stephen King wissen – zahllose Leidenschaften, Irrwege, Gefahren.
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Meine Kindheit in Feldkirchen (ungefähr 25 km östlich von Villach entfernt) kann also behütet bezeichnet werden – im Sinne von „im Abseits gelegen“, „am Rande der Welt – und vor allem: der Zivilisation“. Meine Familie dafür war ziemlich bizarr. Normal nur an der Oberfläche. Aber darunter lauern – wie wir alle spätestens seit Stephen King wissen – zahllose Leidenschaften, Irrwege, Gefahren.
Mein Vater war schwer depressiv, spätestens ab meinem 10. Lebensjahr habe ich das auch unmittelbar mitbekommen: meistens lag er unbeweglich auf seiner Couch im Wohnzimmer, starrte bei verdunkelten Rollläden an die Decke und rührte die Stapel an Aufsatzheften kaum an, die er eigentlich verbessern hätte sollen. Mein Bruder und ich durften kaum spielen, mussten leise sein und am besten durchgehend lernen – schließlich lebten wir in einem Lehrerhaushalt. Es war ungefähr so, als würde man gemeinsam mit einem Toten aufwachsen – und vor allem von diesem erzogen werden. Dennoch verfügte mein Vater über ein ganz ausgeprägtes Talent: er schrieb Gedichte, und zwar in perfekten Reimen und einem untrüglichen Gespür für den Rhythmus der Silben und Worte. Seine großen Vorbilder waren Eugen Roth und Erich Kästner, er hat sich an diesen Idolen abgearbeitet – ist aber nicht einfach nur gescheitert. Sondern hat seine Liebe für Rhythmus und Reim an mich weitergegeben. In meinen Texten spielt der Klang der Wörter, ihr Rhythmus und ihr Material eine ganz wichtige Rolle. Dass ich dazu in der Lage bin, habe ich zum größten Teil meinem Vater zu verdanken.
Meine Mutter war tiefreligiös, protestantisch und bedingungslos in ihrer Hingabe zu Gott und allen höheren Dingen. Ihr verdanke ich die Beharrlichkeit, an etwas zu glauben, das man vielleicht selbst gar nicht besitzt: Talent, Imaginationskraft, die Fähigkeit zu Schreiben. Ich habe vierzig Jahre lang ein ganz normales Berufsleben geführt, wenig spektakulär die notwendige Arbeit verrichtet, aber hinter all den oberflächlichen Bemühungen eines Angestellten pochte die unsagbare Lust, etwas zu schreiben, das Bestand haben und veröffentlicht werden würde. Ohne den bedingungslosen Glauben (eher an mich als an Gott – aber trotzdem) hätte ich keine Zeile – und vor allem nicht die erste – geschrieben: im Anfang war das Wort. Und vor dem Wort musste der Glaube regiert haben: an das Wort. Und die vielen, vielen folgenden Wörter. Für diesen festen Glauben an mich bin ich meiner Mutter mein Leben lang zu größtem Dank verpflichtet.
Geschwister gehören zu den schwierigsten Kapiteln in einer Autobiografie – und ich bin da auch keine Ausnahme. Ich habe nur einen Bruder, der ein Jahr jünger ist als ich und sehr lange ebenfalls mit den Dämonen in ihm zu kämpfen hatte – und vielleich immer noch kämpft. In der Kindheit war er oft aggressiv und in sein Spielzeuggewehr geradezu vernarrt. Mit sieben Jahren stach er mir mit einem Buntstift in die Hand, der drin steckenblieb und – glaube ich – erst im Krankenhaus entfernt werden musste. Mein Bruder hat mit verschiedenen Handicaps und Krankheiten (die nicht immer Bestandteil medizinischer Wirklichkeit waren) zu kämpfen – wahrscheinlich bis heute. Von ihm habe ich gelernt, trotz aller Fährnisse niemals aufzugeben, immer anzukämpfen gegen den viel größeren Feind – und in den raren Momenten des Glücks auch einmal zu siegen. Einen Roman zu Ende zu bringen. Einen Verlag zu finden. Trotz der vielen Widersprüche in mir. Trotz allem. Trotz ist ein ganz wichtiges Element, um den eigenen Kampf zu gewinnen. Ich bin viel zu minder, um jemals ein Autor zu werden – scheiß drauf. Ich probiere es einfach. Und danke meinem Bruder, der mir diese Fähigkeit – vielleicht auch widerwillig – beigebracht hat.
Der letzte in dieser Familie bin ich – und mir verdanke ich ebenfalls etwas: die Fähigkeit in der Hölle zu überleben. Ein sehr pathetischer Satz. Wenn man so wie mit 13 draufgekommen ist, dass man schwul ist und nur auf andere Jungen und Männer abfährt, dann lebte man Mitte der Siebziger Jahre in Kärnten absolut in der Hölle. Allein der Verdacht konnte extreme Hänseleien, Kränkungen und Schläge bedeuten – und von all diesen Dingen habe ich jede Menge abbekommen. Und trotzdem: jede dieser Kränkungen, jeder Spott, jeder Schlag ins Gesicht hat mich nicht schwächer – sondern stärker gemacht. Und nicht nur mich: auch all jene, die ähnliches erlebt und überwunden haben. Wir alle – jeder auf seine Weise – haben dafür gesorgt, dass wir heute nicht am Rand der Gesellschaft ausharren müssen, sondern akzeptiert und anerkannt in deren Mitte leben dürfen – wohin wir gehören. Dafür danke ich mir und euch und ganz besonders Peter, der seit mehr als 30 Jahren dieses wunderschön gewordene Leben mit mir teilt. Bis zum heutigen Tag.
An dem ihr diesen Text lest und euch vielleicht wundert, warum so wenig handfeste Daten in diesem Lebenslauf stehen. Aber wie schon eingangs erwähnt, habe ich euch „nur“ das mitgeteilt, was ganz eng mit meinem Schreiben verbunden ist. Oder sein mag. Denn das größte Rätsel – wir selbst – bleibt ungelöst, egal wie lange wir leben. Wie viel wir schreiben. Und wie sehr wir über uns nachdenken: etwas bleibt zwischen den Zeilen hängen und versickert dort ungelesen, unerhört in seiner Geschichtslosigkeit. Wer wir waren, wird sich niemandem ganz erschließen, am wenigsten – uns selbst.